Wurzener Geschichts- und Altstadt-Verein 14.11.2021
Wurzener begehen den Volkstrauertag 2021 in würdiger Form
Gedenkveranstaltung am Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges
Seit mehren Jahren findet nach dem Gottesdienst am Volkstrauertag eine Gedenkandacht am Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges auf dem alten Friedhof statt. So auch in diesem Jahr und auf Einladung der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Wurzen, des Wurzener Geschichts- und Altstadt-Vereins und des Oberbürgermeisters waren weit über 50 Wurzener und Gäste aus dem Umland gekommen. Musikalisch wurde die Veranstaltung durch den Posaunenchor umrahmt. Pfarrer Wieckowski betonte, daß wir gemeinsam – Stadt und Kirche- an das Leid, das Menschen ihren Mitmenschen angetan haben und noch antun, erinnern wollen. Nach Jesu sollen Hass und Hetze mit Herz und Verstand begegnet werden. Oberbürgermeister Röglin sprach dann das Ehrengedenken und der Posaunenchor spielt den Choral „Ich hatte einen Kameraden“.
Stadtchronist und Ehrenbürger Wolfgang Ebert hielt unter der Überschrift Drei Kreuze – eine Erinnerung zum Volkstrauertag 2021 eine bewegende Gedenkrede und erinnerte an eine Wurzener Familie. „Viele Jahre fielen auf dem Wurzener Friedhof in einem Familienwandbegräbnis in der Abteilung 1 drei Holzkreuze ins Auge, die an drei Kriegstote aus dem 1. Weltkrieg erinnern sollten: an Paul, Fritz und Georg Herbst. Wir finden ihre Namen auch hier am Wurzener Mahnmal verzeichnet unter den 690 mit Namen und Sterbedatum genannten Gefallenen des 1. Weltkrieges aus unserer Stadt… An die sie überlebende Schwester erinnert nichts mehr.
Aber wir sollten auch ihrer gedenken. Denn ihr Schicksal hat sich so oder ähnlich unzählige Male ereignet. Nicht nur in Wurzen, in Deutschland genauso wie in Frankreich, in England, Russland und anderswo.
Am Ende von Zeiten des Leids, der Schrecken, der Zerstörung und Trauer sind es zuallererst Frauen, die sich über die Gräber von Männern beugen.
Das Wurzener Mahnmal macht das für uns deutlich durch seine eherne Aussage. ..
Mit ihr (der Schwester) erlosch die Geschichte einer Familie endgültig. Sie wurde aus der Zeit genommen. Doch da hatte eine neue Zeit für hölzerne Kreuze auf den Feldern Europas schon begonnen. Wir sollten wachsam sein.“
Der Wurzener Geschichts und Altstadt-Verein hat 2012 das ehemalige Schlachtfeld an der Somme in Nordfrankreich besucht. Im „Ring des Gedenkens“ neben dem größten französischen Nationalfriedhof auf der Loretto-Höhe, der 2014 vom damaligen französischen Präsidenten François Hollande eingeweiht wurde, ist auch ein Paul Herbst unter den nahezu 600 000 Namen von Soldaten aus vielen beteiligten Ländern mit verzeichnet, Freund und Feind durcheinander, aber in alphabetischer Reihenfolge hintereinander.
Bei mindestens 28 von ihnen – so kann vermutet werden– könnte es sich um Wurzener handeln.
Am Ende der Andacht wurde gemeinsam die deutsche Nationalhymne gesungen, nachdem Pfarrer Wieckowski die Allgemeingültigkeit von Einigkeit und Recht und Freiheit hervorgehoben hatte. Mit der Europahymne wurde das Gedenken beendet.
Dr. Jürgen Schmidt
Fotos Ebert/Schmidt
Rede von Wolfgang Ebert
Drei Kreuze – eine Erinnerung zum Volkstrauertag 2021
Vor nunmehr 107 Jahren, zu Beginn des 1. Weltkrieges gab es in Wurzen den Namen Herbst nur zweimal. Wir finden den Namen der Familie, an deren Schicksal hier erinnert werden soll, auch heute noch deutlich sichtbar an der Fassade des Hauses Wenceslaigasse 18. Dort ist über dem mittigen Geschäftseingang „Georg Herbst“ zu lesen, mit Stuck hervorgehoben.
An der damals angesagten Adresse betrieb der 1849 geborene „ansässige“ Bürger seit den 1870er Jahren eine Kolonialwaren- und Weinhandlung. Georg Herbst und seine Frau Amalie Louise geb. Böttger aus Pausitz hatten vier Kinder: eine Tochter Lisa, 1885 geboren, und die bereits genannten Söhne Paul, 1889 geboren, Fritz, 1891 geboren, und Georg, 1897 geboren. In das bevorstehende 20. Jahrhundert konnte, wenn wir nach den äußeren Merkmalen urteilen, die kleinbürgerliche Familie zufrieden und hoffnungsvoll eintreten. Doch der überraschende Tod des Familienoberhaupts 1908 trübte bereits alle Vorstellungen für die Zukunft ein. Die Familie konnte das eigene Geschäft nicht weiterführen, die Söhne waren noch zu jung. Für den Krieg allerdings, der sechs Jahre später begann, waren sie nicht mehr zu jung. Alle drei wurden sie von ihm verschlungen. Zuerst der älteste, Paul. Sein Todesdatum wird später mit dem 7. Mai 1915 angegeben. „im Osten“ steht auf seinem Holzkreuz, das sicherlich von der Schwester später in Auftrag gegeben wurde. Das muss so nicht unbedingt stimmen, denn der Todeszeitpunkt fällt mit dem Beginn der opferreichen Schlacht um die Loretto-Höhe bei Arras in Nordfrankreich zusammen. Im „Ring des Gedenkens“ neben dem größten französischen Nationalfriedhof auf der Loretto-Höhe, der 2014 vom damaligen französischen Präsidenten François Hollande eingeweiht wurde, ist auch ein Paul Herbst mit verzeichnet unter den nahezu 600 000 Namen von Soldaten aus vielen beteiligten Ländern, Freund und Feind durcheinander, aber in alphabetischer Reihenfolge hintereinander.
Bei mindestens 28 von ihnen – so vermuten wir nach dem Besuch dieser Gedenkstätte – könnte es sich um Wurzener handeln.
Wir können heute wohl kaum ermessen, was das Ende von Paul Herbst in dessen Familie im Einzelnen ausgelöst haben mag. Seine Mutter stirbt noch im gleichen Jahr, am 23. August, am „Herzen“, wie der Arzt verklausuliert den Behörden mitteilt.
Der Opfergang der Familie setzt sich fort: zwei Jahre später stirbt am 7. Juni 1917 Fritz, der zweitälteste Sohn nach einer Verwundung im Lazarett. Das „im Westen“ auf seinem Kreuz mag diesmal stimmen.
Der jüngste und letzte Sohn, Ernst Georg Julius Otto Max Herbst, Schütze der Sächsischen Fliegerabwehr-Maschinengewehr-Abteilung 921, stirbt am 18. Oktober 1918 in einem Lazarett in Köln-Deutz, einen knappen Monat vor Kriegsende. Er erliegt nicht einer Verwundung, sondern ihn rafft eine Influenza, verbunden mit Pneumonie, hinweg. Vielleicht ein Hinweis auf die damals beginnende Pandemie durch die Spanische Grippe.
Georg Herbst d.J. ist der einzige der drei Brüder, der mit einem Militärbegräbnis in der Familiengrabstätte auf dem Wurzener Friedhof zur letzten Ruhe gebettet wurde. Nur sein später angefertigtes Holzkreuz erhielt deshalb über seinem Namen die Worte „Hier ruht“.
Es sprechen die bekannten Umstände dafür, dass die Schwester Lisa, die Holzkreuze zum Gedenken an ihre Brüder anfertigen ließ. Wann lässt sich nicht genau sagen. Eher schon lässt sich vermuten, dass die Kreuze der Wurzener Holzbildhauer Arthur Hunger angefertigt haben könnte. Die Familiengrabstätte der Herbsts ist heute längst aufgelöst, die Kreuze stehen nicht mehr dort. Der drei jungen Männer aus der Familie wird seit 1930 hier am Mahnmal gedacht. An die sie überlebende Schwester erinnert nichts mehr.
Aber wir sollten auch ihrer gedenken. Denn ihr Schicksal hat sich so oder ähnlich unzählige Male ereignet. Nicht nur in Wurzen, in Deutschland genauso wie in Frankreich, in England, Russland und anderswo.
Am Ende von Zeiten des Leids, der Schrecken, der Zerstörung und Trauer sind es zuallererst Frauen, die sich über die Gräber von Männern beugen.
Das Wurzener Mahnmal macht das für uns deutlich durch seine eherne Aussage.
Lisa Paula Emma Herbst, zuletzt wohnhaft in der heutigen Straße des Friedens 17, blieb zeitlebens unverheiratet und starb vereinsamt nach 57 Jahren, 4 Monaten und 5 Tagen am 13. Oktober 1942 im Wurzener Krankenhaus an einem Krebsleiden und wurde wenige Tage später bei den hölzernen Kreuzen für ihre jüngeren Brüder im Wandbegräbnis 16 der Abteilung 1 im Wurzener Friedhof bestattet.
Mit ihr erlosch die Geschichte einer Familie endgültig. Sie wurde aus der Zeit genommen.
Doch da hatte eine neue Zeit für hölzerne Kreuze auf den Feldern Europas schon begonnen.
Wir sollten wachsam sein.
Fotos