Nachruf in der LVZ vom 2. September 2022 auf einen Freund und unser Vereinsmitglied Dr. Wulf Skaun

 

Ich bin ein Wurzener“: Trauer um Wulf Skaun

Einstiger LVZ-Redakteur stirbt nach schwerer Krankheit im Alter von 77 Jahren. Weggefährten: Wulf glaubte stets an das Gute im Menschen

Abschiedsworte müssen frei nach Theodor Fontane kurz sein wie eine Liebeserklärung. Und so schloss Wulf Skaun im Mai 2010 seinen letzten Artikel in der LVZ kurz und knapp und in immerwährender Verbundenheit: „Ich bin ein Wurzener!“

Mehr, als ich gegeben habe und geben konnte, bekam ich von den Wurzenern geschenkt, notierte der langjährige Redakteur in seiner finalen Kolumne. Für die Gesten des Verstandenseins und des Vertrauens bedankte er sich ausdrücklich.

Um niemanden zu vergessen oder zu vergrämen, nannte er keine Namen – stellvertretend nur eine Berufsgruppe: die Bauern. Sie seien ihm die liebsten gewesen. Das sagte ausgerechnet der Leipziger Herr Dr. sc. mit dem Wissen eines Professors.

Bis zuletzt Freund von Wurzen

Nach langer schwerer Krankheit und mehreren Klinikaufenthalten ist Wulf Skaun am Montag in Leipzig gestorben. Wie seine Frau Susanne mitteilt, sei Wulf zu Hause und im Beisein der Familie eingeschlafen. Er wurde 77 Jahre alt, hinterlässt zwei Kinder und zwei Enkel.

2020 sprach er noch in der Wenceslaikirche über mutige Männer, die vor 75 Jahren geschafft hätten, was anderswo nicht möglich war: Ungeachtet ihrer Parteibücher widersetzten sie sich dem „Nero-Befehl“, den Feinden nichts als verbrannte Erde zu hinterlassen.

Die Rettung Wurzens vor der sicheren Zerstörung sei das Werk einer schier beispiellosen Aktion von Christ, Kommunist, Sozialdemokrat und NSDAP-Bürgermeister gewesen, betonte Skaun. Bis zuletzt setzte er sich für die Ehrung der Beteiligten ein.

Freud und Leid in einer Person

Dass dies die moderne Geschichtsschreibung inzwischen anders sieht, hat Skaun sehr bestürzt. „Wulf Skaun glaubte an das Gute im Menschen“, bringt es sein damaliger Wurzener LVZ-Lokalchef Heinrich Lillie auf den Punkt.

Hartnäckig und vorurteilsfrei habe Skaun nach Wahrheiten gesucht. „Diese Einstellung brachte ihm leider auch manche Enttäuschung ein“, so Lillie. Vielleicht hat Skaun auch deshalb umso inbrünstiger gesungen – selbst auf Arbeit, mit seinem Kollegen Andreas Läbe. Skaun habe sich zwar selbstkritisch als vorlaut, nicht selten hitzig und wenig diplomatisch beschrieben: „Aber ich würde das anders formulieren: Er trug das Herz auf der Zunge. Und das durfte er, denn er hatte ein gutes Herz“, erinnert sich Lillie.

Geborenes Arbeiterkind

Der Wurzen-Freund war einer der ganz wenigen, der der Toten der Naziherrschaft aber auch der Opfer des Stalinismus gedachte. Er, der in den letzten Kriegstagen 1945 im zugigen Bahnhof von Bad Kleinen das „Dunkel“ der Welt erblickte.

Vater war „Kriegskrüppel“, Mutter auf der Flucht. Ein englischer Offizier fungierte als Hebamme. Der Brite schrieb auch eine kleine Geburtsurkunde, die er der Mutter überreichte: „She gave birth to a male child.“ Adolf, Hermann und Joseph hat er ihr verboten. Alle anderen Namen wären okay. Nie wieder Krieg – die Zeiten waren politisch. Es ist überliefert, dass Klein-Wulfi im Kindergarten auf ein Stühlchen stieg und rief: „Genossen, seid ihr für den Frieden?“ Da war er drei.

Zwei Vorbilder: Schur und Oertel

Skaun war ein Roter. Daraus machte er nie einen Hehl. Sein großes Idol: Radsportler und Friedensfahrer Täve Schur. Die letzte Etappe 1957 sei wie ein Krimi gewesen: „Die DDR hat fünf Minuten aufgeholt und wurde noch Mannschaftssieger.“

Skaun saß ständig vor dem Radio und hörte die Reportagen von Heinz Florian Oertel. Wie dieser Mann, der da sprach, wollte er werden. Und so studierte er Journalismus. An der Leipziger Universität war Forschergeist gefragt. Oder auch nicht?

Seine Arbeit landete prompt im Panzerschrank. Zeitungen in der DDR hätten nicht viel mit der Realität zu tun, lautete einer seiner tollkühnen Sätze: „Nur sozialistische Siege und kaum Kritik, Mängel und Probleme.“ Die Parteioberen tobten.

Skaun stand kurz vorm Parteirausschmiss. Er war 15 Jahre in der SED-Kreisleitung der Uni. Im heißen Herbst 1989 stand am Rektoratsgebäude in großen Lettern: Mitglieder der SED-Kreisleitung in den Tagebau! Der wissenschaftliche Hoffnungsträger ging freiwillig. Zur LVZ. Aufs Land. Nach Wurzen. In jenes Städtchen, das er bislang eher mit Keksen und Scherzkeksen (Ringelnatz) in Verbindung brachte. Nicht ahnend, dass er dort einen Literaturpreis gewinnen würde.

Den Preis stiftete Ralf Hunger, pausbäckige Edelfeder mitten aus dem Volke, besser bekannt als Wurzens dichtender Koch. Der würdigte damit vor allem Skauns Buchprojekte, darunter „Lauter Leben – Geschichten aus dem Wurzener Land“. Wulf Skaun war aktives Mitglied des Wurzener Geschichts- und Altstadtvereins. Dessen Köpfe, Jürgen Schmidt und Wolfgang Ebert, loben Skaun als einen ungewöhnlich gebildeten und belesenen Menschen, der sich meisterhaft auszudrücken verstand.

Gebildet und belesen

In der Rosa-Luxemburg-Stiftung rezensierte Skaun, der Jongleur der Worte, 50 Veranstaltungen. Dabei berichtete er kompetent und brillant zu thematisch ganz unterschiedlichen Abenden: Literatur, Politik und Ökonomie.

Da war es wieder: das Universalgenie, das sich schon als Kind in Hohen Viecheln abzeichnete: Wulfi rezitierte Gedichte, verwaltete die Bibliothek, sang im Chor, spielte Theater, war Hauptmann der Pionierfeuerwehr und Direktor im Kinderzirkus Bums.


Haig Latchinian
Redakteur
 

Dr. Wulf Skaun (rechts) mit Ehefrau Susanne zur Weihnachtsfeier unseres Vereins 2018