Vor 70 Jahren erschien das erste Heft des „Rundblick“

Der „Rundblick“-Chef Manfred Müller hatte genau zum 1. September zu einem Kaffeekränzchen in seinen Garten eingeladen, um auf die unglaublich spannende und schöne „Rundblick“-Zeit zurückzublicken. Gekommen waren einige der letzten verbliebenen Mitarbeiter, seine Kinder und Alexander Wieckowski als Vertreter der begeisterten Leserschaft.

Wer kennt sie nicht, die grünen Hefte des „Rundblick“, der Zeitschrift aus Natur und Heimat. Dabei war das erste Titelblatt braun, das zweite blau. Wie es dazu kam, erzählte Manfred Müller in seiner gewohnt lockeren Art. Ganz einfach: bei Heft 2 war die braune Farbe alle. Man mußte auf blau ausweichen. Damit es nicht so sehr auffiel, hat man abwechselnd blau und braun gedruckt. Ab 1956 wurde das Titelbild dann grün.

Der „Rundblick“-Chef hatte sich wie immer akribisch vorbereitet, alles auf einem kleinen Block notiert. Und er gab zu: er hatte sich beim Rückblick „festgelesen“. Die Themen in Heft 1 waren unspektakulär: Thälmann, Smetana, eine Linde bei Leulitz.

Der Anfang war nicht leicht, bei der Post lagen die 4000 Hefte, es erschien aller zwei Wochen, wie Blei in den Regalen. Man konnte die Druckkosten nicht bezahlen. Ab Heft 6 nahm er den Verkauf selbst in die Hände, suchte in jedem Ort Vertriebsmitarbeiter und es funktionierte. Wie der Chefredakteur sich eigentlich immer von Steinen, die auf seinem Weg lagen, nicht aus der Bahn bringen ließ. Man war auf einem schmalen Grat unterwegs, wurde manchmal von der SED-Kreisleitung kritisiert, nur weil z.B. in einer Ausgabe zwei Kirchtürme zu sehen waren. So mußte im nächsten Heft das Porträt eines Arbeiterführers die Wogen glätten. Das nächste Problem war das Papier, immer zu knapp. In den letzten Jahren wurden 9000 Hefte genehmigt, aber 25000 Exemplare verkauft und es reichte immer noch nicht. Der „Rundblick“ wurde zur Bückware.

Höhepunkte waren die Dorfreportagen. Die Wandermannschaft traf sich zu Fuß oder mit den Fahrrädern und es wurde mit einem Ortskundigen hinter die Kulissen geschaut, im wahrsten Sinne des Wortes. Keine Tür blieb verschlossen, keine Episode unerzählt. Zwischen den Dörfern wurde die Flora und Fauna erklärt. Experten wie Hartmut Kopsch oder Siegfried Bauch kamen zu Wort. Die Begegnungen mit dem Menschen am Straßenrand blieben dem begeisterten Geografielehrer und Fußballer besonders in Erinnerung. So kam es vor, daß ein Gartenzwerg gegen eine frische Erdbeertorte getauscht wurde. Die war eigentlich für die Verwandtschaft am Nachmittag bestimmt.

Die Ideen von „Rundblick“-Müller, wie er heute noch liebevoll genannt wird, waren unerschöpflich. Das „Rundblick“-Gebiet, mittlerweile um die Kreise Oschatz und Grimma erweitert, wurde mit allen möglichen und unmöglichen Verkehrsmitteln erkundet. Es wurde aus Telegrafenmasten ein Floß gezimmert und die Mulde befahren, dazu wurde sogar eine Versicherung auf den Todesfall der Besatzung abgeschlossen! Es ging mit Planwagen durch die Lande, es folgten Oldtimer, Tandems und sogar ein Rundflug mit einer AN 2. Später kam eine Ballonfahrt dazu. Die dreitägige Postkutschenfahrt 1984 war sicher ein Höhepunkt. Das Organisieren der Kutschen und Pferde war schwer genug, aber es klappte. Unterwegs wurden große Feste gefeiert (Sachsendorf beging das 700- jährige Jubiläum). In Wurzen wurde die Postmeilensäule auf dem Crostigall eingeweiht. Ein unvergeßliches Spektakel.

Die kleine Döllnitz wurde mit Faltbooten bis zur Elbe erkundet. Das ging nicht ohne Pannen ab. Immer wieder saßen die Boote auf und Reparaturen waren nötig. Endlich die Elbe in Sicht, mußte das Gelände der Nudelfabrik durchquert werden.

Der Mann von Betriebsschutz genoß sein Frühstück in der Sonne und wollte seinen Augen nicht trauen, als er die Boote sah. Er forderte zur Umkehr auf. „Halt, Durchfahrt verboten!“ rief er. Als das nichts nützte, wollte er seine Forderungen mit Wurfgeschossen durchsetzen. Erst flogen Steine, später seine Frühstückstomaten. Umsonst. Man paddelte sicher bis zur Elbe.

Genauso wurde es in der Reportage beschrieben. Das muß dem Riesaer Direktor zu Ohren gekommen sein und er entschuldigte sich daraufhin in einem Schreiben für seinen übereifrigen Wachmann. „Wenn der „Rundblick“ wieder kommt, hat er natürlich freie Fahrt.“

Längst hatte Manfred Müller seinen Block weggelegt und jeder aus der Runde hatte eine lustige Geschichte beizusteuern. Überhaupt, ohne die Autoren (insgesamt über 100), wäre es nicht möglich gewesen, so viele Hefte mit Leben zu füllen. Die meisten waren Laien und nicht allen ging das Schreiben locker von der Feder. Manchmal kam Kritik aus den Reihen der Wissenschaftler. Manfred drehte den Spieß um und bat sie, selbst für den „Rundblick“ zu schreiben. Das hat den Inhalt der Hefte spürbar belebt. Manch einer sagte, es ist leichter, für eine wissenschaftliche Zeitung zu schreiben als für den „Rundblick“. Der Chefredakteur hatte oft was zu kürzen und zu verbessern. Das Ergebnis gab ihm recht.

1999 erschien nach 45 Jahren das letzte Heft als Jahrbuch. Es gab immer wieder Formatwechsel. Geblieben ist ein unbezahlbares Nachschlagewerk, gefüllt mit Geschichte, Natur, Kultur und Reportagen über Menschen in Städten, Dörfern und Betrieben, geschrieben von Menschen mit großer Heimatliebe und Enthusiasmus. Die Autoren und die Leserschaft wurden älter, die Presselandschaft änderte sich. Zeit für den Schlußstrich. Sein Dank gilt den über 700 ehrenamtlichen Mitstreitern, ohne die so eine Zeitschrift nie so lange überlebt hätte. Auch denkt Manfred Müller an seine Ehefrau Gisela, die ihm immer den Rücken freigehalten hat und in Hohburg den Haushalt „schmiß“.

Herbert Slotta holt noch einmal den „Zerrwanst“ hervor, wie so oft erklingt ein Volkslied. Es wurde ruhig. Man ließ sich die eigens gebackene „Rundblick“-Torte schmecken.

Das letzte Wort hatte der 94-jährige „Chef“: „Jedes Ding hat seine Zeit, jedes Ding lebt in seiner Zeit, so auch der „Rundblick“. Wie wahr !

 

   Manfred Müller (Bildmitte) im Kreis seiner Familie und einstiger Rundblick-Mitarbeiter