Seit 2018: Ehrendes und mahnendes Gedenken mit Andacht zum Volkstrauertag
Das Ehrenmal auf dem Alten Friedhof für die Gefallenen des 1. Weltkrieges ist seit 2018 für die Kirchgemeinde Wurzen, die Stadtverwaltung und den Wurzener Geschichts- und Altstadt-Verein der Ort für die gemeinsame Andacht zum Volkstrauertag. Vorher hatten unter Leitung der Oberbürgermeister Anton Pausch und Dr. Jürgen Schmidt mit Vertreter des Stadtrates zum Volkstrauertag Kranzniederlegungen stattgefunden. Als 2011 Initiativen für eine Umgestaltung der Denkmalsanlage offiziell wurden, hat sich unser Verein entschieden dagegen ausgesprochen.
„Das Denkmal ist eine bemerkenswerte künstlerische Leistung des Dresdener Bildhauers Georg Wrba und des Architekten Oswin Hempel und inhaltlich ein Erinnerungs- und Mahn-mal, das die Trauer über und das Gedenken an die in ihm namentlich verewigten Wurzener Gefallenen des Ersten Weltkrieges zeitlos und wirkungsvoll zum Ausdruck bringt. Es ermög-licht auch weiterhin ohne Zutaten und Abänderungen immer wieder eine Diskussion über Generationen hinweg, in Wurzen selbst und weit darüber hinaus.
Das Denkmal lebt für sich und benötigt nach unserer Meinung und der vieler Wurzener keine „Auf- oder Umwertung“ durch neue Auftraggeber in den vorgestellten Varianten.
Dr. Jürgen Schmidt, Wolfgang Ebert. 12.12.2011“
2016 wurde durch unseren Verein die originale Stiftertafel für das Ehepaar Ilgen am Denkmal dem Museum übergeben und durch eine perfekte Kopie ersetzt, da Beschädigungen durch linken Extremismus nicht auszuschließen waren.
Auf Initiative von Pfarrer Wieckowski wurde dann ab 2018 jährlich gemeinsam von Kirchgemeinde, Stadtverwaltung und Wurzener Geschichts- und Altstadt-Verein eine Andacht durchgeführt. Nach einer kurzen Predigt von Pfarrer Wieckowski spricht der jeweilige Oberbürgermeister das Ehrengedenken und der Stadtchronist hält einen Vortrag über konkrete Wurzener Gefallene dieses Krieges. In diesem Jahr hat das erstmals Wilfried Römling übernommen. Die gesamte Andacht wird vom Posaunenchor umrahmt und der Choral „Ich hatte einen Kameraden“ gehört immer dazu. Am Schluß wird gemeinsam die Nationalhymne gesungen.
In diesem Jahr gedenkt W. Römling der sechs gefallenen Ruderer der Wurzener Rudergesellschaft, deren Namen auf dem Stein an der Damaschkestraße als Gefallene im 1. Weltkrieg vermerkt sind. Das Schicksal von Otto Thalemann wurde dabei besonders hervorgehoben.
Ansprache von Stadtchronist Wilfried Römling im Rahmen der Andacht zum Volkstrauertag 2024 am Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkrieges auf dem Alten Friedhof zu Wurzen
Sehr geehrter Her Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren.
„Es ist wahr, man wird vergessen …“ so beginnt das französische Gedicht „Das Holzkreuz 1919“. Der Dichter meint damit: Man wird sich nicht mehr erinnern.
Damit genau das nicht passiert, wird am Volkstrauertag dauerhaft an das Leid der Menschen durch Verwundung und Tod in Kriegen, hier besonders an die Millionen Toten und Verwundeten des 1. Weltkrieges erinnert – als Mahnung an die folgenden Generationen.
Wir stehen hier zwischen den Namen der 700 Toten jungen Männer aus Wurzen, sinnlos gefallen im 1. Weltkrieg.
Alljährlich möchten wir an das Schicksal eines gefallenen Sohnes unserer Stadt erinnern, stellvertretend für alle.
An das heutige Opfer wird an drei Stellen gedacht. Wir lesen den Namen an diesem Ehrenmal, am Grab auf dem neuen Friedhof zu Wurzen und auf dem Gedenkstein der ehemaligen Rudergesellschaft Wurzen. Dieser Stein steht auf dem Gelände der Wurzener Sportler an der Damaschkestraße.
Die Inschrift lautet: Unseren Gefallenen 1914 – 1918 – Artin Kühne, Otto Heyne, Otto Köhler, Gottfried Leonardi. Otto Vogel, Otto Thalemann, – W.R.G.
Der Name Otto Thalemann ist einigen älteren Wurzenern sicher noch vertraut. Sein Vater Friedrich Wilhelm Thalemann war Inhaber eines Uhrmachergeschäftes am Jacobsplatz Nr. 5. Die Mutter Auguste Bertha Thalemann stammte aus Mutzschen, half im Geschäft und führte den Haushalt. Die Familie gehörte zum alteingesessenen Bürgertum, heute würde man Mittelstand sagen.
Insgesamt hatte die Familie 5 Kinder. 2 Mädchen und drei Jungen. Otto war der jüngste Sohn. Er kam am 31. Januar 1878 zur Welt. Nach der Grundschule besuchte er ab 1889 das Gymnasium, das er 1892 ohne Abitur verließ. In der Freizeit trieb Otto Thalemann Sport, war begeisterter Ruderer in der Wurzener Rudergesellschaft. Er lernte das Uhrmacherhandwerk und arbeitete im Geschäft seines Vaters. Auf Otto Thalemann ruhten die Hoffnungen der Familie, sollte er doch mit seiner Frau Pauline Gertrud das Geschäft einmal übernehmen.
Das Attentat von Sarajevo änderte alles. Deutschland erklärte an der Seite Österreich-Ungarns Russland und Frankreich den Krieg und griff das Nachbarland an. Immer mehr Staaten griffen in die Kampfhandlungen ein. Es eskalierte zum 1. Weltkrieg. Im September kam der deutsche Vormarsch an der Marne zum Erliegen. Es begann ein zermürbender Stellungskrieg.
Auch Otto Thalemann wurde eingezogen. Er diente im Königlich Sächsischen Landsturm-Infanteriebataillon 19/9, welches in Wurzen stationiert war. In dieser Einheit waren vorwiegend ältere Soldaten eingesetzt. An Großkampfhandlungen waren sie nicht beteiligt, dafür mußten sie fast ununterbrochen in den Stellungen bleiben, unter anderem bei Verdun und in den Vogesen. Ab September 1916 wurde das Bataillon in den Argonnen eingesetzt. Die Front ist hier zum Erliegen gekommen. Beide Seiten bauten die Stellungen und das Hinterland aus. Gleisanlagen, Seilbahnen, Tunnelsysteme und sogar Mineralwasserfabriken wurden errichtet. Man stellte sich auf langwierige Kämpfe ein. Es kam immer wieder zu Vorstößen auf beiden Seiten, die aber kaum nennenswerte Geländegewinne brachten. Für einige hundert Meter Geländegewinn wurden tausende Soldaten geopfert, der Wahnsinn des Krieges macht die Soldaten mürbe.
Im März 1917 übernimmt das Wurzener Bataillon, unterstützt von jungen, unerfahrenen MG-Schützen, die Stellung bei Höhe 263 erstmals selbstständig. Die MG’s werden eingeschossen, die Franzosen antworten mit Kanonen.
Im Kriegstagebuch des Regiments ist für den 8.4. 1917 vermerkt: Eine starke französische Patrouille griff 08.30 Uhr an. Sie wurden im Handgranatenkampf abgewiesen. Wir hatten zwei Tote zu beklagen.
Nur zwei Tote – ein ruhiger Tag im alltäglichen Wahnsinn. Einer der Gefallenen war Otto Thalemann. Im Sterbebuch ist zu lesen: Unteroffizier Otto Thalemann ist bei Höhe 263 in den Argonnen durch Handgranaten gefallen.
Er wurde 39 Jahre alt. Die Todesnachricht zerstörte alle Hoffnungen der Familie. Otto Thalemann wurde in einem opulenten Grab mit Stahlhelm beigesetzt. Es erinnert und mahnt noch heute. Das Geschäft wurde vorerst von der Mutter geführt, ehe ein Neffe übernahm. Der Name Otto Thalemann blieb, wie bei vielen Wurzener Geschäften, am Haus stehen. Auch als Mahnung gegen das Vergessen.
Gegen das Vergessen steht auch der Stein an der Mulde. Mit dem nackten Rücken zum Weg, ohne Schrift. Nur die Ruderer werden beim Verlassen des Geländes an ihre sechs gefallenen Sportkameraden erinnert.
Wie heißt es im Gedicht „Das Holzkreuz 1919“
Das Bild des verstorbenen Soldaten wird nach und nach in den getrösteten Herzen derjenigen, die er so geliebt hat, ausgelöscht.
Und all die Toten werden zum letzten Mal sterben.
Damit das nicht geschehen möge, stehen wir Jahr für Jahr an einem Tag wie diesen hier zwischen den 700 Namen der gefallenen Söhne unserer Stadt.